Wissenschaftliche Fortschritte können kontroverse Debatten über bioethische Fragen entfachen. Wir wollen das wachsende Potenzial der Biowissenschaften verantwortungsvoll einsetzen, um den größtmöglichen Nutzen für die Menschheit und andere Lebewesen zu schaffen. Für uns ist es wichtig, eine eigene Position zu bioethischen Fragestellungen zu beziehen.
Unser Ansatz für ethisch verantwortungsvolles Handeln
Als weltweit tätiges Unternehmen ist es uns ein ernstes Anliegen, aufkommende bioethische Themen und Fragen frühzeitig zu erkennen und aufzugreifen. Nur so können wir unsere eigene Position bestimmen. Zwar richten wir unsere gesamte Geschäftstätigkeit an internationalen und nationalen Gesetzen aus. Aber: Viele bioethische Diskussionen werfen Fragen auf, die weit über den aktuellen, vom jeweiligen Gesetzgeber vorgegebenen Rahmen hinausgehen. Deshalb holen wir auch den Rat externer Fachleute ein.
Unsere Arbeit berührt verschiedene bioethische Themen: Hierzu zählen Tierversuche, die klinische Forschung, die Nutzung von Stammzellen, der Einsatz genetisch veränderter Mikroorganismen oder die möglichen Auswirkungen neuer genomverändernder Methoden wie CRISPR/Cas. Unser Ziel ist es, Forschung in ethisch verantwortungsvoller Weise durchzuführen und ethische Leitlinien zu entwickeln, um auf deren Basis fundierte Entscheidungen treffen zu können. Der Nutzen für die verschiedenen Patientengruppen und ihr Wohlergehen stehen bei uns stets an erster Stelle. Das gilt für klinische Studien wie für die Behandlung mit unseren Arzneimitteln gleichermaßen; darüber hinaus ist die Produktbereitstellung zu akademischen Forschungszwecken oder für die biopharmazeutische Industrie betroffen. Bei kontroversen Themen wägen wir unsere Positionen sorgfältig ab.
Rollen und Verantwortlichkeiten
Seit 2010 spricht das Merck Ethics Advisory Panel for Science and Technology (MEAP) klare Empfehlungen zu wissenschafts- und technikethischen Themen und Fragestellungen aus, die – der Transformation unseres Unternehmens zu einem Wissenschafts- und Technologiekonzern entsprechend – auch über die reine Bioethik hinausgehen. Die Empfehlungen dienen als Richtschnur für unser Verhalten und unsere wirtschaftlichen Aktivitäten. Zwei unserer führenden wissenschaftlichen Mitarbeitenden aus dem Senior Management leiten gemeinsam das MEAP. Mitglieder des Panels sind renommierte externe Sachverständige aus der Bioethik, Medizin, Philosophie, Rechtswissenschaft, den Naturwissenschaften sowie Fachkundige aus den Bereichen Technik und Nachhaltigkeit. Das MEAP ist von der Geschäftsleitung eingesetzt.
Das Panel tagt mehrmals jährlich und kann bei dringenden ethischen Fragestellungen auch kurzfristig einberufen werden. Zusammenfassende Protokolle der Sitzungen sind in unserem Intranet abrufbar, ebenso wie die vom MEAP ausgesprochenen Empfehlungen. Unsere Mitarbeitenden können dem Gremium Diskussionsthemen zukommen lassen. Darüber hinaus stehen ihnen bei ethischen Bedenken sowohl unsere Compliance-Hotline als auch unser Bioethik-Team zur Seite.
Auf Empfehlung des MEAP wurde bereits 2011 unser Stem Cell Oversight Committee (SCROC) gegründet. Das Gremium überprüft und genehmigt alle internen Forschungsvorhaben, bei denen wir humane Stammzellen einsetzen möchten. Es gewährleistet, dass sowohl rechtliche Vorgaben als auch unsere ethischen Leitlinien eingehalten werden. Das betrifft auch gemeinsame Projekte mit externen Partnern. Das Komitee besteht aus internen Experten unserer Unternehmensbereiche sowie aus externem Fachpersonal aus den Bereichen Bioethik, Medizin sowie Recht.
Im Jahr 2022 erweiterten wir das Beratungsangebot zu Ethikthemen. Unser Ziel ist es, bei richtungsweisenden Geschäftsentscheidungen auch ethische Sichtweisen zu berücksichtigen. Dazu riefen wir das Projekt Ethics Foresight ins Leben: Hierbei unterstützen externe Experten und ausgewählte MEAP-Mitglieder unsere Mitarbeitenden aus den Geschäftsbereichen bei strategisch relevanten ethischen Belangen. Anders als im MEAP sollen die Fachkundigen zukünftig keine konkreten Empfehlungen entwickeln, sondern das jeweilige ethische Risiko für verschiedene Szenarien ermitteln und mehrere Entscheidungswege abbilden.
Wozu wir uns bekennen: Richtlinien und Standards
Unsere Richtlinie zur Genomeditierung (Genome Editing Principle) gibt unseren Mitarbeitenden einen verbindlichen ethischen und operativen Rahmen vor. Dabei zieht sie klare Grenzen für uns: Denn einerseits bieten wir maßgeschneiderte zielgerichtete Nukleasen und genetisch veränderte Zelllinien an, andererseits wenden wir diese genomverändernden Technologien in unserer Forschung an. Die Richtlinie enthält Hintergrundinformationen und erläutert unsere Position zur Genomeditierung. Außerdem befasst sie sich mit Veränderungen der menschlichen Keimbahn.
Ergänzend dazu gibt es Richtlinien, die unsere ethischen Forschungs- und Geschäftstätigkeiten regeln. Unsere Richtlinie zur Nutzung von Stammzellen (Stem Cell Principle) setzt ethische Grenzen, innerhalb derer wir menschliche Stammzellen in unserer Forschung einsetzen. Unsere Richtlinie zur Fruchtbarkeitsforschung (Fertility Principle) reglementiert unsere Forschung zu Fruchtbarkeitsbehandlung und In-vitro-Fertilisation. Sie macht klare Vorgaben für Methoden, die hohe ethische Standards erfüllen. Unsere Grundsätze, ob Informationen über die zulassungsüberschreitende Anwendung von Arzneimitteln (Off-Label-Use) weitergegeben werden dürfen, ergeben sich aus konzernweit gültigen Richtlinien.
Bei klinischen Studien gewonnene biologische Proben von den behandelten Personen sind unverzichtbar, um neue, zielgerichtete Behandlungen und fortschrittliche Diagnosemethoden zu entwickeln. Unsere Grundsätze und Prozesse, wie mit menschlichen Bioproben zu verfahren ist, haben wir im Fertility Principle sowie in Standardarbeitsanweisungen festgeschrieben. Demnach handhaben wir die Proben in verantwortungsvoller und ethisch angemessener Weise – sowohl in Übereinstimmung mit allen gesetzlichen Anforderungen als auch gemäß der von den Patienten erteilten Zustimmung zur Verwertung. Diese Zustimmung kann die optionale Erlaubnis beinhalten, die Proben über die klinische Studie hinaus für weitere medizinische Forschungszwecke zu verwenden.
Aktuelle Diskussionen des MEAP
Das MEAP tagte zuletzt im Mai 2022. Es diskutierte unter anderem ethische Fragen zu Zellkulturmedien, die im Fertilitätsbereich eingesetzt werden könnten. Außerdem schloss das Gremium die Überarbeitung des Stem Cell Principle, des Genome Editing Principle und des Fertility Principle ab. Damit brachten wir sie in Übereinstimmung mit den 2021 überarbeiteten Leitlinien der International Society for Stem Cell Research (ISSCR). Diese adressieren wissenschaftliche Fortschritte und damit verbundene ethische, soziale und politische Veränderungen seit 2016. Die Grundlinien unserer Positionen blieben unverändert bestehen, einige Details sind nun den neuen Leitlinien entsprechend angepasst. Darüber hinaus würdigten wir im Berichtsjahr das zehnjährige Bestehen des MEAP mit einem Symposium. Zu diesem Anlass verfassten die MEAP-Mitglieder eine Festschrift; die enthaltenen Beiträge erörtern sowohl bisherige als auch zukünftige bioethische Themen und ihre Bedeutung für Wissenschaft und Praxis.
Biotechnologie und Gentechnik
Konzernweit stellen wir unsere biotechnischen Produkte an allen Standorten nach hohen Standards her. Alle diese Aktivitäten unterliegen weltweit strengen gesetzlichen Vorschriften. Deren Einhaltung überwachen unsere Beauftragten für biologische Sicherheit. Wir verfolgen fortlaufend, ob sich die lokalen Bestimmungen für biotechnisch hergestellte Produkte ändern. Ist das der Fall, dann passen wir unsere Prozesse an. So gewährleisten wir, dass wir alle gesetzlichen Anforderungen erfüllen.
Nutzung von Technologien zur Genomeditierung
Wir sind ein führender Anbieter von Technologien wie CRISPR/Cas, mit denen bestimmte Gene gezielt verändert werden können. Dieser Prozess heißt Genomeditierung oder auch Genomveränderung. Mit CRISPR/Cas eröffnen sich neue Wege in der gentechnischen Forschung. Diese könnten beispielsweise bei der Behandlung schwerer Krankheiten große Fortschritte bewirken. Die Gesetze verschiedener Länder lassen unterschiedlich große Spielräume für die Anwendung dieser Methode zu. In der wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskussion entwickeln sich seit Jahren bioethische Positionen zur Keimbahnveränderung (Germline Editing). Unsere Position zur Veränderung der menschlichen Keimbahn lautet wie folgt:
„Im Einklang mit dem Embryonenschutzgesetz unterstützen wir weder die Anwendung der Genomeditierung bei menschlichen Embryos noch die klinische Anwendung von Keimbahneingriffen beim Menschen. Wir erkennen an, dass eine verantwortungsbewusst durchgeführte Forschung auf diesem Gebiet wertvoll sein kann.“
Stammzellenforschung
Wir beteiligen wir uns nicht an klinischen Studien, die menschliche embryonale Stammzellen oder geklonte menschliche Zellen zur Behandlung von Krankheiten einsetzen. Ebenso wenig verfolgen wir selbst derartige Ansätze. In unserer Forschung kommen menschliche embryonale Stammzellen aber durchaus zum Einsatz. Außerdem bieten wir unseren Kunden einige ausgewählte Stammzelllinien an. In beiden Bereichen erlauben wir den Einsatz menschlicher embryonaler Stammzellen aber nur dann, wenn klar definierte Bedingungen erfüllt sind. So verwenden wir Stammzellen nur dann für Forschungszwecke, wenn unser SCROC das jeweilige Projekt geprüft und genehmigt hat. Im Geschäftsjahr 2022 erfolgte diese Überprüfung und Genehmigung in einem Fall. Wir verwenden ausschließlich Zelllinien, die erstens vom United States National Institutes of Health (NIH) zugelassen, zweitens nach dem deutschen Embryonenschutzgesetz erlaubt und drittens nach dem deutschen Stammzellgesetz zulässig sind.