Wissenschaftliche Fortschritte können kontroverse Debatten über bioethische Fragen entfachen. Wir wollen das wachsende Potenzial der Biowissenschaften verantwortungsvoll einsetzen, um den größtmöglichen Nutzen für die Menschenheit und andere Lebewesen zu schaffen. Für uns ist es wichtig, eine eigene Position zu bioethischen Ansätzen zu beziehen.
Unser Ansatz für ethisch verantwortungsvolles Handeln
Als weltweit tätiges Unternehmen ist es uns ein ernstes Anliegen, neue Entwicklungen zu bioethischen Themen und Fragen frühzeitig zu erkennen und aufzugreifen. Nur so können wir unsere eigenen Positionen bestimmen. Zwar richten wir unsere gesamte Geschäftstätigkeit an internationalen und nationalen Gesetzen aus. Aber: Viele bioethische Diskussionen werfen Fragen auf, die weit über den aktuellen, vom jeweiligen Gesetzgeber vorgegebenen Rahmen hinausgehen. Deshalb holen wir auch den Rat externer Experten ein.
Unsere Arbeit berührt verschiedene bioethische Themen: Hierzu zählen Tierversuche, die klinische Forschung, die Nutzung von Stammzellen, der Einsatz genetisch veränderter Mikroorganismen oder die möglichen Auswirkungen neuer genomverändernder Methoden wie CRISPR/Cas. Unser Ziel ist es, Forschung in ethisch verantwortungsvoller Weise durchzuführen. Wir entwickeln Leitlinien, auf deren Basis wir fundierte Entscheidungen treffen können, die höchsten ethischen Standards entsprechen. Der Nutzen für die Patienten und ihr Wohlergehen stehen bei uns stets an erster Stelle. Das gilt gleichermaßen für klinische Studien und für die Behandlung mit unseren Arzneimitteln; auch betrifft es die Bereitstellung unserer Produkte für akademische Forschungszwecke oder für die biopharmazeutische Industrie. Bei kontroversen Themen wägen wir unsere Positionen sorgfältig ab.
Rollen und Verantwortlichkeiten
Rund zehn Jahre lang gab das von der Geschäftsleitung eingesetzte Merck Bioethics Advisory Panel (MBAP) Ratschläge zu bioethischen Fragestellungen. Um künftig ein breiteres Themenspektrum zu behandeln, wandelten wir es im Mai 2021 in das Merck Ethics Advisory Panel for Science and Technology (MEAP) um. Das neue Gremium spricht klare Empfehlungen zu wissenschafts- und technikethischen Themen und Fragestellungen aus, die auch über die reine Bioethik hinaus gehen. Die Empfehlungen dienen als Richtschnur für unser Verhalten und unsere wirtschaftlichen Aktivitäten. Zwei unserer führenden wissenschaftlichen Experten aus dem Senior Management leiten gemeinsam das MEAP. Neben renommierten, internationalen Spezialisten aus den Gebieten der Bioethik, Theologie, Rechtswissenschaft und den Naturwissenschaften gehören ihm nun auch Fachleute aus den Bereichen Technik und Nachhaltigkeit an.
Das MEAP tagt mehrmals jährlich und kann bei dringenden ethischen Fragestellungen auch kurzfristig einberufen werden. Zusammenfassende Protokolle der Sitzungen sind in unserem Intranet abrufbar, ebenso wie die ausgesprochenen Empfehlungen. Unsere Mitarbeiter können Themen für die Diskussion beim MEAP einreichen. Darüber hinaus stehen ihnen bei ethischen Bedenken unsere Compliance-Hotline und unser Bioethik-Team zur Seite.
Unter dem Dach des MEAP arbeiten unsere Gremien zu Genomeditierung und Stammzellenforschung. Zu themenspezifischen Fragen sprechen sie Empfehlungen aus, die auf unseren Richtlinien basieren. Unser „Stem Cell Research Oversight Committee“ (SCROC) überprüft alle internen Forschungsvorhaben, bei denen wir humane Stammzellen einsetzen. Es gewährleistet, dass sowohl rechtliche Vorgaben als auch unsere ethischen Leitlinien eingehalten werden. Das betrifft auch gemeinsame Projekte mit externen Partnern.
Wozu wir uns bekennen: Richtlinien und Standards
Unsere Richtlinie zur Genomeditierung („Genome Editing Principle“) gibt unseren Mitarbeitern einen verbindlichen ethischen und operativen Rahmen vor. Dabei zieht sie klare Grenzen für uns: einerseits als Anbieter maßgeschneiderter zielgerichteter Nukleasen und genetisch veränderter Zelllinien, andererseits als Anwender dieser genomverändernden Technologien bei der wissenschaftlichen Forschung. Die Richtlinie enthält Hintergrundinformationen und erläutert unsere Position zur Genomeditierung. Außerdem befasst sie sich mit Veränderungen der menschlichen Keimbahn.
Weitere Richtlinien, die unseren Ansatz für ethische Forschungs- und Geschäftstätigkeiten regeln, ergänzen sie. Unsere Richtlinie zur Nutzung von Stammzellen („Stem Cell Principle“) legt die ethischen Grenzen fest, innerhalb derer wir menschliche Stammzellen in unserer Forschung einsetzen. Unsere Richtlinie zur Fruchtbarkeitsforschung („Fertility Principle“), dient als Leitschnur für unsere Forschung zu Fruchtbarkeitsbehandlung und In-vitro-Fertilisation. Sie macht klare Vorgaben für Methoden, die hohe ethische Standards erfüllen. Unsere Grundsätze zur Weitergabe von Informationen über die zulassungsüberschreitende Anwendung von Arzneimitteln (Off-Label-Use) ergeben sich aus entsprechenden Richtlinien, die konzernweit gelten.
Bei klinischen Studien gewonnene biologische Proben von Patienten sind unverzichtbar, um neue, zielgerichtete Behandlungen und fortschrittliche Diagnosemethoden zu entwickeln. Unsere Grundsätze und Prozesse im Umgang mit menschlichen Bioproben haben wir in einer Richtlinie („Fertility Principle“) und in Standardarbeitsanweisungen festgeschrieben. Demnach handhaben wir die Proben in verantwortungsvoller und ethisch angemessener Weise – sowohl in Übereinstimmung mit allen gesetzlichen Anforderungen als auch gemäß der von den Patienten erteilten Zustimmung zur Verwertung. Diese Zustimmung kann die optionale Erlaubnis beinhalten, die Proben über die klinische Studie hinaus für weitere medizinische Forschungszwecke zu verwenden.
Aktuelle Diskussionen des MEAP
Das MEAP tagte zuletzt im Oktober 2021. Dabei behandelte es unter anderem unsere 2020 verabschiedete Tierschutzstrategie und unsere Vorgehensweise bezüglich der Covid-19-Impfung und -Testung von Mitarbeitern. Auch thematisierten die Mitglieder des Panels unsere ethische Verpflichtung, bei Tierversuchen über geltende Gesetze hinaus transparent zu handeln. Das Gremium beschäftigte sich zudem mit der ethischen Verantwortung hinsichtlich des Non-Intended-Use – des nicht bestimmungsgemäßen Gebrauchs – unserer Produkte, vor allem mit Blick auf das Life-Science-Portfolio.
Biotechnologie und Gentechnik
Konzernweit stellen wir unsere biotechnischen Produkte an allen Standorten nach hohen Standards her. Alle diese Aktivitäten unterliegen weltweit strengen gesetzlichen Vorschriften. Deren Einhaltung überwachen unsere Beauftragten für biologische Sicherheit. Wir verfolgen fortlaufend, ob sich die lokalen Bestimmungen für biotechnisch hergestellte Produkte ändern. Ist das der Fall, dann passen wir unsere Prozesse an. So gewährleisten wir, dass wir alle gesetzlichen Anforderungen erfüllen.
Nutzung von Technologien zur Genomeditierung
Wir sind ein führender Anbieter von Technologien wie CRISPR/Cas, mit denen bestimmte Gene gezielt verändert werden können. Dieser Prozess heißt Genomeditierung oder auch Genomveränderung. Mit CRISPR/Cas eröffnen sich neue Wege in der gentechnischen Forschung. Diese könnten große Fortschritte bewirken – entweder bei der Behandlung schwerer Krankheiten oder bei der „grünen Gentechnik“, also der Anwendung genomverändernder Verfahren in der Pflanzenzüchtung. Die Gesetze verschiedener Länder lassen unterschiedlich große Spielräume für die Anwendung dieser Methode zu. In der wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskussion entwickeln sich seit Jahren bioethische Ansichten zur Keimbahnveränderung („Germline Editing“, GE). Unsere Position zur Veränderung der menschlichen Keimbahn lautet wie folgt:
„Im Einklang mit dem Embryonenschutzgesetz wird die Anwendung der Genomeditierung bei menschlichen Embryos von Merck ebenso wenig unterstützt wie die klinische Anwendung von Keimbahneingriffen beim Menschen. Merck erkennt an, dass eine verantwortungsbewusst durchgeführte Forschung auf diesem Gebiet wertvoll sein kann.“
Stammzellenforschung
Derzeit beteiligen wir uns nicht an klinischen Studien, die menschliche embryonale Stammzellen oder geklonte menschliche Zellen zur Behandlung von Krankheiten einsetzen. Ebenso wenig verfolgen wir selbst derartige Ansätze. In unserer Forschung kommen menschliche embryonale Stammzellen aber durchaus zum Einsatz. Außerdem bieten wir unseren Kunden einige ausgewählte Stammzelllinien an. In beiden Bereichen erlauben wir den Einsatz menschlicher embryonaler Stammzellen aber nur dann, wenn klar definierte Bedingungen erfüllt sind. So verwenden wir Stammzellen nur dann für Forschungszwecke, wenn unser „Stem Cell Research Oversight Comittee“ (SCROC) das jeweilige Projekt geprüft und genehmigt hat. Wir verwenden ausschließlich Zelllinien, die erstens vom „United States National Institutes of Health“ (NIH) zugelassen, zweitens nach dem deutschen Embryonenschutzgesetz erlaubt und drittens nach dem deutschen Stammzellgesetz zulässig sind. Auf seiner Sitzung im Oktober 2021 überarbeitete das SCROC das Stem Cell Principle, um die 2021 neu erschienenen Guidelines der ISSCR (International Society for Stem Cell Research) zu berücksichtigen.